Handwerk aus Leidenschaft: Henny Riedl ist Flechtwerkgestalterin und Korbmachermeisterin.Die Einzige im Kammerbezirk
Die geschnittenen Weidenruten werden rund zwei Wochen in kaltem Wasser eingeweicht, bis die gewünschte Biegsamkeit erreicht ist. Danach vorsichtig abgetrocknet. Das anschließende Sortieren nach Stärken und Längen ist der Startschuss für den Flechtprozess. Als erstes den Boden, danach wird in die Höhe geflochten - oder wie die Fachfrau Henny Riedl sagt: "Das Flechten in die Höhe bezeichnet man auch als Zustecken oder aber den Rumpf bilden".
Einen intensiven Arbeitstag benötigt Henny Riedl, um eine "Tasche ohne Geheimnisse" von Hand herzustellen. Ohne Geheimnisse? Ihre angewandte Lieblingstechnik ist die Spiraltechnik, die auch als Burkinatechnik bezeichnet wird. Normalerweise wird diese zur Verarbeitung von feinem Material, wie Stroh oder Gras, verwendet. Doch die Adaption der Burkinatechnik mit Ruten der heimischen Weide lässt ein statisches Meisterwerk entstehen und ermöglicht ein Spiel mit Dichte und Transparenz, mit Licht und Schatten. Für ihre "Tasche ohne Geheimnisse" erhielt die Flechtwerkgestalterin den Bayerischen Staatspreis 2018.
Viele Wege führen ins Handwerk
Eigentlich kommt die Münchnerin aus einer ganz anderen beruflichen Ecke. Henny Riedl studierte zunächst Ethnologie, Psychologie und interkulturelle Kommunikation. Darauf folgte eine Ausbildung zur Selbstverteidigungstrainerin. Ihre Leidenschaft zu dem traditionsreichen Handwerk des Flechtwerkherstellens wurde letztendlich während eines Selbstversuches entfacht. Aus einer Laune heraus entschied sich Henny Riedl dazu, selbst einen Korb aus Weidenruten zu flechten. Diese Arbeit entfaltete ihre Liebe zu natürlichen Materialen und handwerklichem Geschick.
Sie hängte ihren Beruf als Selbstverteidigungstrainerin an den Nagel und begann vor knapp 15 Jahren eine Ausbildung zur Flechtwerkgestalterin an der staatlichen Berufsfachschule für Flechtwerkgestaltung in Lichtenfels, Oberfranken. Sie war gerade im dritten Lehrjahr, als an der Berufsfachschule eine Stelle als Fachlehrerin für die Schnittstelle zwischen Gestaltung und Handwerk vakant wurde. "Das war meine Chance", berichtete Henny Riedl. Sie absolvierte ihren Meister im Korbmacherhandwerk und unterrichtete zwei Jahre als Fachlehrerin.
2013 verschlug es sie ins Rhein-Main-Gebiet. In einer Wiesbadener-Altbauwohnung verbindet die Handwerkerin seither ihren Wohnraum mit einem Atelier und einer integrierten Werkstatt – namens "die flechterei" - zur kreativen Entfaltung. Doch so ganz konnte sie Oberfranken nicht hinter sich lassen. Die Wahl-Wiesbadenerin rief eine Sommerakademie an der Schule ins Leben, an welcher sie zuvor selbst als Dozentin unterrichtete. Jedes Jahr treffen sich dort für vier Tage Teilnehmer aus ganz Europa, um unterschiedlichste Flechttechniken zu erlernen und anzuwenden. Was zu ihrem Werdegang sicher beigetragen hat: Henny Riedl weiß ganz genau, was ihren Beruf so besonders macht. "Man sieht wundervolle Ergebnisse und benötigt dafür nur sehr wenig Werkzeug. Es reicht aus, wenn die Weidenruten mit einem Pfriem, einem Messer, einer Schere sowie dem Einsatz der eigenen Hände bearbeitet werden", so Riedl.
Das Schönste ist die Kreativität
Was Henny Riedl an ihrem Beruf schätzt? "Das Schönste an meinem Beruf ist die Kreativität, also die freie Gestaltungsmöglichkeit eines nachhaltigen Rohstoffes. Man kann etwas von Hand herstellen und unterschiedliche Materialen so in Szene setzen, dass diese eine ganz besondere und einzigartige Wertigkeit erhalten", erzählte die Korbmachermeisterin. Auch ihre Lebenseinstellung habe sich durch ihren handwerklichen Beruf verändert: "Wenn man einen handwerklichen Beruf macht, der so ursprünglich wie das Flechtwerkgestalten ist, bekommt man einen ganz anderen Blick auf die Dinge, die einen umgeben". Eine weitere Besonderheit: Henny Riedls Flechtwerkstatt ist eine von nur sechs eingetragenen Betrieben in diesem Handwerk im Kammerbezirk und sie ist die Einzige unter ihnen, die einen Meistertitel in diesem Gewerk hat.