Der Zweiradmechanikermeister Enrico de Haas aus Hüttenberg weiß genau, was Motorräder brauchen.Loud and Slow - Handwerk aus Leidenschaft
Betritt man die zwar große, aber von außen unscheinbare Halle von „Wannabe Choppers“ in Hüttenberg, findet man sich plötzlich in einer Motorradwerkstatt wieder, die auch an der Route 66 liegen könnte. An der Wand das Star Spangled Banner, die Flagge der Vereinigten Staaten, und Harley Davidson-Embleme, darunter eine Sitzecke im Vintage-Stil, die von zwei Motorrädern – oder Choppern – umrahmt wird. Nur der Meisterbrief von Zweiradmechanikermeister Enrico de Haas und eine Innungsurkunde verdeutlichen, dass sich diese Motorradmanufaktur in Mittelhessen befindet. Hier fertigen der 29-jährige und seine momentan vier Mitarbeiter – von denen zwei in Außenstellen in Berlin und Stuttgart eingesetzt sind – spezielle Bauteile für den Motorrad-Großhandel und die -Industrie. „Ein Großteil davon wird in die USA oder nach Japan exportiert. Dort sind handwerkliche Produkte ‘Handmade in Germany’ stark nachgefragt. Hierzulande hält sich das leider noch in Grenzen“, erklärt de Haas, der seine Idee einer Motorradmanufaktur schon seit seiner Jugend verfolgt und schließlich in die Tat umgesetzt hat.
Traditionelles Handwerk
Neben den Kenntnissen und Fähigkeiten eines Zweiradmechanikers sind hierzu auch die eines Modellbauers, Gießers, Sattlers, Zerspanungsmechanikers, Kfz-Mechanikers, Schmieds, Polierers, Schlossers, Feinblechners und Druckers gefragt, die sich de Haas selbst angeeignet hat und nun auch an seinen Auszubildenden Julius Herbel weitergibt. „Unsere Arbeitsschritte und Techniken sind dieselben wie vor 80 Jahren. Die fertigen Teile sollen ja auch aussehen wie aus dieser Zeit.“ Sein Ziel ist es, ein Motorrad vollständig selbst anzufertigen. Dem ist er mit seinem elektrisch betriebenen Bike aus Aluminium schon ziemlich nah gekommen. „Das haben wir bis auf fünf Bauteile hier vor Ort produziert“, berichtet er stolz. Allerdings sei es nahezu unmöglich, einen interessierten Kunden für ein solches Einzelstück zu finden, da Planung und Fertigung gut zwei Jahre und ganze 1.400 Arbeitsstunden in Anspruch nähmen. De Haas sieht dieses Projekt eher als Schulungsmaßnahme für sich selbst, um weitere Fähigkeiten zu erlangen, bestimmte Teile zu produzieren. „Das E-Bike ist im Grunde eine Bestandsaufnahme unseres Könnens. So kann aber durchaus die Mobilität der Zukunft aussehen. Wir haben damit jedenfalls unter Beweis gestellt, dass alte handwerkliche Techniken auch noch in 50 Jahren up-to-date sein können“, erläutert er.
Amerika ruft
Um diese Innovation aus dem Handwerk auch im Mutterland einer Harley Davidson bekannt zu machen, haben die „jungen Wilden“ aus Hüttenberg die Maschine komplett zerlegt und auf Fachmessen in Milwaukee und Portland sowie bei Presseterminen und Vorführungen in Übersee präsentiert. In Deutschland habe das E-Bike hingegen ein eher negatives Echo erhalten. „Ein Motorrad wird sehr stark mit Männlichkeitsattributen verbunden. Elektro passt eben nicht so Recht zu Leistung, Lärm, Qualm und Rauch“, vermutet de Haas, dessen Motto zuvor auch schon „Loud and Slow“ lautete. Zudem sei das durchschnittliche Alter eines typischen Harley-Käufers weitaus höher als sein eigenes. „Ein Motorrad ist immer noch ein Luxusgut, das man sich zulegt, um besser die Midlife-Crisis zu überstehen“, gibt er augenzwinkernd zu bedenken.
Grenzenlosigkeit, Mut und Hingabe
Dass ein Motorrad in doppelter Hinsicht Halt geben kann, macht der gläubige Betriebsinhaber mit den lateinischen Worten „Soli Deo Gloria“ („Einzig Gott zur Ehre“), oder deren Anfangsbuchstaben, deutlich, die an allen von ihm gefertigten Bikes zu lesen sind. „Ich glaube, dass Jesus in erster Linie ein Kämpfer für die Freiheit war. Auch Motorräder symbolisieren Grenzenlosigkeit, Mut und Hingabe.“
Sozial engagiert
Die Zukunft seines Handwerks sieht Enrico de Haas zwiespältig, auch wenn er derzeit nicht über mangelnden Nachwuchs klagen kann. „In meiner Lehrzeit hat man in Hessen gerade so eine Zweiradmechaniker-Klasse zusammenbekommen. Für unsere Lehrlinge gibt es auch keinen Tarifvertrag, sondern lediglich eine Empfehlung, die leider viel zu niedrig ausfällt. Wir brauchen eine Strategie, wie wir unsere Zukunft sichern und ‘Handmade in Germany’ auch hier attraktiv machen können.“
Auch sein Betrieb habe natürlich schwankende Auftragslagen, von denen jeweils die Zahl seiner Mitarbeiter abhänge. Aufgrund seiner langfristigen Aufträge sei dies aber gut planbar und sozialverträglich zu lösen.
Damit der soziale Aspekt vollständig zum Tragen kommt, macht „Wannabe Choppers“ auch Menschen für den ersten Arbeitsmarkt fit. So habe man aus der Arbeit mit Geflüchteten, psychisch Erkrankten und Strafgefangenen sehr positive Erfahrungen gewonnen. Enrico de Haas ist sich sicher: „Entscheidend ist der Umgang. Wenn die Menschen spüren, dass sie respektiert und gebraucht werden, funktioniert das.“