24.08.2022 Konjunkturelle Situation im KammerbezirkUnsicherheiten dämpfen die Erwartungen der Betriebe
"Die Pandemie belastet die Handwerksbetriebe in Ober-, West- und Mittelhessen immer weniger, aber die Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg, Liefer- und Materialengpässe, rasant steigende Energiekosten, die hohe Inflation und der eklatante Fachkräftemangel dämpfen die Erwartungen", fasst Kammerpräsident Stefan Füll die konjunkturelle Lage und Aussichten der heimischen Handwerksbetriebe zusammen. Zwar bewerteten nach der Konjunkturumfrage für das zweite Quartal 50 Prozent der befragten Betriebe ihre aktuelle Geschäftslage als "gut", weitere 37 Prozent als "befriedigend" und nur 13 Prozent als "schlecht", allerdings sind die geäußerten Erwartungen für das dritte Quartal deutlich pessimistischer.
So erwartet jeder fünfte befragte Handwerksbetrieb eine verschlechterte Geschäftslage. Rund jeder vierte Betrieb rechnet mit sinkenden Umsätzen und Auftragseingängen. Besondere Sorge bereitet den Unternehmen die weitere Preisentwicklung. Fast 85 Prozent erwarten für die nahe Zukunft weitere Preissteigerungen; umgekehrt eine marginale Minderheit von einem Prozent geht von sinkenden Einkaufspreisen aus.
Neben dem Preisauftrieb auf Rekordstand ist und bleibt der Fachkräftemangel das gravierendste Problem. Obwohl die Bereitschaft zur Einstellung neuer Mitarbeiter ungebrochen groß ist, rechnen viele Handwerksbetriebe mit einer weiter zurückgehenden Beschäftigung, da der handwerkliche Facharbeitermarkt vielfach leergefegt ist. "Fehlende Fachkräfte sind die Wachstumsbremse Nummer eins", so Handwerkspräsident Füll. Deshalb sei es gerade für das personal- und lohnintensive Handwerk von zentraler Bedeutung, dass der Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei maximal 40 Prozent des Bruttolohns gedeckelt werde. "Jeder Euro mehr bei den Sozialabgaben erhöht die Kosten für unsere Betriebe und schmälert das Netto der Beschäftigten im Handwerk. Statt an der Beitragsschraube zu drehen, muss die Politik die Sozialversicherungssysteme generationengerecht und zukunftsfähig machen", betont Füll.
Laut des Kammerpräsidenten verläuft die Handwerkskonjunktur zwischen den einzelnen Handwerksbranchen recht unterschiedlich. Während das Bau- und Ausbauhandwerk nach wie vor sehr starke Zufriedenheitswerte meldet, konnte sich das Kfz-Handwerk lediglich auf niedrigem Niveau etwas verbessern. Generell kann eine große Unsicherheit bei allen Branchen im Hinblick auf die weitere Entwicklung festgestellt werden. "Gerade bei den Bau- und Ausbauberufen, die in den vergangenen Jahren Treiber der Handwerkskonjunktur waren, ist die Verunsicherung angesichts enormer Preissteigerungen bei Material und Energie sowie höherer Zinsen über die weitere Entwicklung sehr groß", so Füll.
Leichtes Plus bei den Ausbildungszahlen
Zum Stichtag 31. Juli 2022 verzeichnete die Handwerkskammer Wiesbaden 2.078 neu eingetragene Lehrverträge. Im Vergleich zum Vorjahr und gegen den Bundestrend ist dies ein Plus von 4,5 Prozent. Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um eine Momentaufnahme, die bis zur Vorlage der offiziellen Statistik noch starken Schwankungen unterliegen kann. "Auch, wenn wir hier grundsätzlich und auf den Kammerbezirk bezogen von einem Gesamtzuwachs sprechen können, erreichen wir damit noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Zum einen sinken die Schulentlassjahrgänge aufgrund der demographischen Entwicklung und zum anderen hat die berufliche Orientierung von Schülerinnen und Schüler durch die Corona-Pandemie erheblich gelitten", so Hauptgeschäftsführer Bernhard Mundschenk. Daher würden nicht wenige Jugendliche mangels klarer Berufsperspektiven einen weiteren Schulbesuch anstreben und die Entscheidung für einen Beruf immer weiter nach hinten schieben. "Insoweit könnte es helfen, den Freiwilligendienst auf Gewerke des Handwerks auszuweiten. Gerade angesichts des Klimawandels, der viele junge Menschen bewegt, sehen wir hier erhebliches Potenzial", erklärt Mundschenk.
Die notwendige Transformation des Wirtschaftens in Deutschland hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit könne nur mit einer ausreichenden Zahl beruflich qualifizierter Fachkräfte insbesondere aus dem Handwerk gelingen. "Und dazu braucht es nicht nur die geforderte Klimawende, nicht nur eine Energiewende und nicht nur eine Mobilitätswende, es braucht vor allem eine Bildungswende", betont Mundschenk. Für den Beginn einer Ausbildung sei es auch jetzt noch nicht zu spät. In der Lehrstellenbörse der Handwerkskammer Wiesbaden seien noch rund 600 freie Ausbildungsstellen und fast 100 Praktikumsplätze gemeldet.
Weniger meistergeführte Betriebe
Zum Stichtag 30. Juni 2022 waren 26.938 Betriebe in der Handwerksrolle der Handwerkskammer Wiesbaden eingetragen. Dies entspricht einem leichten Zuwachs von 0,3 Prozent bzw. 82 Betrieben im Vergleich zum 31. Dezember 2021. Im Rahmen der zulassungspflichtigen Handwerke sind nun 18.226 Betriebe (-1,1 Prozent/-196 Betriebe) gemeldet. Bei den zulassungsfreien Handwerken sind es 6.054 Betriebe (+3,7 Prozent/+217 Betriebe) und beim handwerksähnlichen Gewerbe 2.658 Betriebe (+2,3 Prozent/+61 Betriebe).