Boogie Woogie oder Lockenwickler? Diese Frage stellt sich bei Clemens Würkner nicht. Er betreibt den "Friseur-Lounge-Kulturclub" in Biebrich und vereint somit zwei Leidenschaften in einer Lokalität. Ein Friseurmeister macht Theater
Noch liegen abgeschnittene Haare auf dem Fußboden, Fön, Bürsten und Shampoo liegen auf den Ablagen und es sieht aus wie in einem ganz normalen Friseursalon. Zumindest innen – denn von außen ist schon klar, dass hier nicht nur Haare geschnitten werden, sondern noch erheblich mehr los ist. “Friseur-Lounge-Kulturclub” steht an den Schaufenstern, und jede Menge Plakate künden davon, dass sich mitten in Biebrich schon seit über zehn Jahren etwas ganz Besonderes etabliert hat: Clemens Würkners “Kulturclub”. Donnerstags ist Kulturtag - manchmal auch samstags. Da schließt der Friseur bereits um 14 Uhr. Fix kehrt Würkner den Boden, räumt seine Utensilien auf – und dann schiebt er die Frisierplätze, die an Schienen an der Decke befestigt sind, einfach zur Seite, stellt ein beleuchtetes Objekt mit Weinflaschen und zwei große Palmen auf: Schon ist die Bühne bereitet für die musikalischen Gäste des Abends, “Tango Transit”, ein fulminantes Jazztrio mit Kontrabass, Akkordeon und Schlagzeug.
Friseursalon wird zum Jazzclub
Ordentliche Scheinwerfer hat der Friseurmeister an der Decke sowieso montiert, rund 50 Klappstühle stellt er noch mal eben auf: Groß ist der Aufwand nicht, aus dem Friseursalon einen Jazzclub zu machen. Jazz, aber auch Folk, Kabarett, Weinproben und andere kulturell-kulinarische Ereignisse finden regelmäßig in Clemens Würkners Laden statt. Denn: “Kultur ist Lebensqualität” findet der Friseurmeister. Und die Lebensqualität in Biebrich hat sich durch seinen Einsatz deutlich erhöht: Würkner ist nämlich nicht nur Kulturclub-Erfinder, sondern hat auch das Biebricher Höfefest mit ins Leben gerufen, das sich seit mehr als einem Dutzend Jahren großer Beliebtheit erfreut. Sowohl Künstler als auch Gäste seines Kulturclubs sind in vielen Fällen zu Freunden geworden, freut sich der 55-Jährige.
Er stammt aus Biebrich; bereits seine Eltern hatten hier ein Friseurgeschäft. Den Sohn zog es jedoch zunächst mal nach London. “Ein tolles Land, um dort Friseur zu sein”, erinnert er sich. Und noch etwas lernte er dort kennen: Das “Socializing” nach der Arbeit. “Da gehen die Leute erstmal in den Pub und dann nach Hause. Das gibt es hier nicht.” Doch irgendwann packte Würkner das Heimweh und er kehrte zurück nach Wiesbaden. Dort allerdings merkte er, “dass jeder abends lieber für sich bleiben will”. Das ließ dem Biebricher keine Ruhe. Erst kam das Höfefest, dann der Kulturclub. “Ich bin ja immer noch zu, na sagen wir mal, drei Fünfteln Handwerker, aber der Rest gehört der Kultur.” Es sei eine absolute Win-Win-Situation, dass er so zweigleisig fährt: “Viele Kunden kommen vom Haarschnitt zu den Veranstaltungen, und manche Künstler bleiben dann sogar auch als Friseurkunden bei mir.”
Programm nach eigenen Vorlieben
Würkner hat alles in seinem Laden eigenhändig so umgebaut, dass es den Richtlinien für Veranstaltungen entspricht. Ein Krankenhausaufenthalt lieferte ihm die Idee mit dem mobilen Mobiliar. “Ich war von der Leiter gefallen. Und im OP-Saal konnte man die Einrichtung an solchen Deckenschienen verschieben. Da dachte ich mir: Das ist es!” Da er selbst über dem Club wohnt, gibt es auch kein Problem mit dem Lärm. “Und meine Familie unterstützt mich” – das ist ihm wichtig. Sein Programm sucht Würkner natürlich auch nach eigenen Vorlieben aus: Singer/Songwriter-Pop, Lyrik, Blues und Boogie Woogie, Oldies und Akustik, Lesungen, Chansons und Kleinkunst. Und die Wein-oder Whisky-Degustationsabende, die der Hausherr selbst bestreitet: Mittlerweile ist er auch ausgebildeter Sommelier und kocht das jeweils dazugehörige Menü eigenhändig. Ein verlässliches Team unterstützt ihn bei den Veranstaltungen, und mittlerweile geht “Clemens” auch manchmal “fremd”: In der Oranier-Kirche im Stadtteil organisiert er jedes Jahr einen Stummfilmabend mit Livemusik, andere Kulturabende finden in der Orangerie im Schlosspark oder in einem der Gemeindesäle des Stadtteils statt. “Ich bin aber auch nicht der einzige Handwerker in Wiesbaden, der kulturell aktiv ist”, weiß er. Der Metallbaubetrieb Huhle macht Theater und sponsert diverse Kultur-Aktivitäten in Biebrich – auch bei Clemens. Und bei der Autowerkstatt “Kolbenfresser” in Wiesbaden-Bierstadt gibt es auch ab und an Kulturveranstaltungen.